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migrated-content news-archiv Chronische Schmerzen behandeln | ebi-pharm.ch 28.06.2021

Chronische Schmerzen behandeln

Wenn man Patienten oder Ärzte und Therapeuten nach einer Definition für chronische Schmerzen fragt, bekommt man ebenso viele verschiedene Antworten wie Menschen die man fragt. Das liegt zum Einen daran, dass es selbst unter Fachleuten keine einheitliche Definition für chronischen Schmerz gibt und zum Anderen daran, dass die persönliche Erfahrung sowohl als Behandelnde*r als auch als Betroffene*r einen immensen Einfluss auf die Wahrnehmung sowie die Ausdrucks- und Sichtweise auf Schmerz haben.

 

Neben den offensichtlichen Einflussfaktoren wie Grösse der Gewebsverletzung, Lokalisation und der Dauer des schädigenden Reizes, sind es vor allem Aspekte wie Schmerzerfahrung, Geschlecht, kultureller Hintergrund aber auch die Reaktion der Menschen in der direkten Umgebung auf die Art und Weise wie der/ die Betroffene seine/ihre Schmerzen ausdrückt und welche Strategien er oder sie wählt, um sich vor dem Reiz zu schützen.

Sullivan nennt dies den biopsychomotorischen Ansatz (Sullivan, M.J. 2008, Clin J Pain 24). Anzumerken ist ebenfalls, dass die allopathische Medizin neben der in Abb. 2 dargestellten medikamentösen Therapie, bis heute keine verbindliche und einheitliche Leitlinie zur Behandlung von chronischen Schmerzen anzubieten hat.

 

Allerdings gibt es einige Behandlungsmöglichkeiten die neben der gängigen Schmerztherapie mit Analgetika, NSAID`s oder Opiaten ihren berechtigten Platz in der Behandlung von chronischen Schmerzen eingenommen haben. Dafür möchte ich einige neurophysiologische Aspekte beleuchten. Zunächst einmal wird ein Schmerzreiz aus der Peripherie über das Rückenmark ins Gehirn weitergeleitet. Ausserdem werden dabei neben der Information aus der Peripherie auch Signale aus Viscera, Gelenken, Wirbelkörpern, Haut, Muskulatur aber auch absteigende Bahnen aus dem Gehirn, auf sogenannten Konvergenzneuronen im Rückenmark vor der Weiterleitung ins Gehirn integriert. Die gesammelte Information wird dann über drei Hauptbahnen vom Rückenmark ins Gehirn geleitet. Den Tractus spinothalamicus, den Tractus spinoreticularis und den Tractus spinomesencephalicus. Diese aufsteigenden Bahnen melden also vom Rückenmark in unterschiedliche Areale des Gehirns. Im präfrontalen Kortex werden beispielsweise Informationen über die Lokalisation des Schmerzes sowie Intensität und Dauer des peripheren Reizes verarbeitet. Das vegetative Nervensystem wird benachrichtigt und es werden limbische Anteile wie das periaquäduktale Grau, die Raphe Kerne oder auch die Amygdala informiert. Alle hierbei beteiligten Hirnstrukturen werden zusammengefasst als die Neuromatrix des Schmerzes bezeichnet. Es gibt also kein Schmerzzentrum im Gehirn, sondern vielmehr ein ganzes Netzwerk von Hirnarealen die unter Umständen das Phänomen Schmerz als Gesamtoutput haben. Wenn man sich anschaut welche Hirnareale hier über was informiert werden, kann man im nächsten Schritt bereits schlussfolgern welche Aspekte Einfluss auf die Verarbeitung, die Interpretation und die Reaktion auf einen Reiz nehmen können. Die Art und Weise wie Schmerz also wahrgenommen wird, hängt stark vom Zusammenspiel dieser Hirnregionen ab. Sowohl die Intensität der Verbindungen, die Dominanz verschiedener Areale, die Verarbeitung der Informationen und damit auch das Outcome sind daher immer individuell.

 

In dieser Komplexität der sich gegenseitig beeinflussenden Verbindungen, zeigt sich die Vielschichtigkeit von chronischem Schmerz und daher auch der möglichen Behandlungsoptionen.

Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist, dass egal ob Schmerzen nozizeptiv, neuropathisch, gliazellassoziert, akut oder chronisch sind, die Schmerzempfindung immer und ausschliesslich ein zentrales Erleben ist. Und der im Bezug auf die Arbeit mit chronischen Schmerzpatienten*innen vielleicht wichtigste Hinweis (sozusagen Regel Nr. 1) ist, dass Schmerz immer und zu 100 % real ist. Egal wo er herkommt. Im Folgenden möchte ich auf einige mögliche Therapievorschläge eingehen.

Dazu möchte ich kurz etwas Physiologie in Erinnerung rufen. Im Nervensystem werden Informationen i.d.R. über sog. Synapsen weitergeleitet. Der Neurotransmitter, der hier der Hauptakteur ist, ist das Glutamat. Glutamat ist der stärkste und wichtigste exzitatorische (aktivierende) Neurotransmitter des Nervensystems. Überall wo Reize aktivierend weitergeleitet werden, finden wir also Rezeptoren, die sensibel auf Glutamat reagieren. Diese Rezeptortypen nennen sich NMDARezeptoren. NMDA- Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran sind eigentlich Ionenkanäle, die sich bei Kontakt mit Glutamat öffnen, so einen Kalziumeinstrom ermöglichen, und dadurch eine Depolarisation initiieren. Der Kanal ist im Ruhezustand geschlossen und öffnet sich erst wenn Glutamat an den Rezeptor andockt: Geschlossen

- Glutamat dockt an den Rezeptor

- Ionenkanal öffnet sich - Depolarisation

- Glutamat wird abgebaut - Kanal schliesst sich. Ganz einfach also.

Allerdings reagieren neuronale Netzwerke bei intensiver und vor allem dauerhafter Stimulation mit Hypersensibilisierung. Das bedeutet, dass diese Netzwerke bei häufigem Gebrauch immer früher, schneller und intensiver auf Reize reagieren. Das hat aber auch zur Folge, dass schon kleinere Reize zu Reizweiterleitung führen und es bei dauerhafter Reizung auch zu einer verstärkten Weiterleitung kommt. Dies geschieht durch eine vermehrte Einlagerung von Glutamat, aber auch über eine erhöhte NMDA-Rezeptorenexpression und über eine Sensibilisierung der Nervenfaser; was zu einer herabgesetzten Reizschwelle und dadurch zu einer erhöhten synaptischen Aktivität führt. All die aufgeführten Anpassungen führen zu einer verstärkten Weiterleitung und so zu einer intensivierten Wahrnehmung. Diesen Prozess nennt man «long term potentiation» (LTP). Dies kann so auch zu einem sog. Hintergrundrauschen führen was eine Erklärung für mögliche Dauerschmerzen bei Patienten*innen mit chronischen Schmerzen ist.

 

Glücklicherweise kann man den NMDA-Rezeptor auch wieder unempfindlicher machen. Dazu gibt es zwei Optionen. Die erste Option wäre die zentrale Hemmung einer Synapse. Diese geschieht über die Neurotransmitter Serotonin oder Gammaaminobuttersäure (GABA). Dazu gibt es einige gut funktionierende Supplemente. GABA selbst oder auch pflanzliche Alternativen zu Serotonin wie z.B. die afrikanische Schwarzbohne (Griffonia simplicifolia), die einen hohen Anteil an Serotonin enthält. Die zweite Option ist es den Rezeptor in seiner Aktivität zu hemmen. Dies geschieht über Magnesium oder auch über Taurin. Beide Substanzen besetzen den Ionenkanal und «verhindern» somit eine Depolarisation.

Was die Dosierung anbelangt, muss man diese, wie immer, individuell an den Patienten anpassen. Bei Taurin ist vielleicht zu sagen, dass hier eine Supplementierung unproblematisch ist, da Taurin ein Element ist, welches im menschlichen Körper in beträchtlichen Mengen vorkommt (Taurin macht zwischen 0,5 - 1 ‰ des Körpergewichtes aus). So konnten wir bei der Verwendung von Taurin bislang keine Nebenwirkungen beobachten.

Zur Verwendung von Magnesium muss erwähnt werden, dass die Menge, die benötigt wird, um eine Sättigung der NMDA-Rezeptoren zu erreichen, häufig die Durchfallgrenze übersteigt worüber Patienten vorgängig informiert werden müssen. Als Einnahmezeitpunkt wählt man idealerweise die Zeit vor dem Schlafengehen und nicht morgens vor einem Vorstellungsgespräch oder einer langen Busfahrt.

Zum Abschluss möchte ich noch betonen, dass es sich hier natürlich nur um Optionen handelt und nicht um der Weisheit letzter Schluss. Dennoch möchte ich festhalten, dass wir mit dieser Kombination von nebenwirkungsarmen und natürlichen Substanzen grosse Erfolge bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen erleben durften.

Ich hoffe dem Leser so eine kleine und vielleicht neue Auswahl an Interventionsmöglichkeiten aus einer ganzen Palette von Therapieoptionen gegeben zu haben, um Patienten*innen, die unter chronischen Schmerzen leiden auf ihrem Weg heraus aus diesem Problem besser zu unterstützen.

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ANSCHRIFT DES AUTORS

Nicolai Loboda, Therapeut für klinische

Psychoneuroimmunologie, Ernährungsberater,

Sportphysiotherapeut, Dozent,

Gründer Circles. Health GmbH,

Länggassstrasse 35, 3012 Bern